1.24 Textanalyse und Übersetzungsauftrag
Das Textanalysemodell ist im Unterricht zusammen mit einem di¬daktischen Übersetzungsauftrag einzusetzen, der die erforderlichen An¬gaben zur Ziel(text)funktion so detailliert wie nötig enthält.
Die Einführung in das Arbeiten mit dem Textanalysemodell und dem Übersetzungsauftrag gehört in eine Übersetzungspropädeutik, nicht in den eigentlichen Übersetzungsunterricht. (Dort sollte das Modell aber konsequent für jeden zu übersetzenden Text angewendet werden.) Es kann zunächst an muttersprachlichen Texten intralingual geübt werden, z.B. durch die "Übersetzung" einer Zeitungsmeldung in einen persönli¬chen Brief, eines Enzyklopädieartikels in einen Kurzvortrag etc.
Schema unten zeigt, wie das Modell zu formaüsieren ist: Die rechte Spalte enthält die Soll-Angaben zum ZT, die anhand des Übersetzungsauftrags als erstes eingetragen werden, und zwar nach der gleichen W-Fragen-Kette, die auch die AT-Analyse leitet. Danach werden die für die ZT-Produktion relevanten Faktoren des AT analysiert und die Ist-Angaben in die linke Spalte eingetragen. Die Re¬levanz der einzelnen Faktoren ist ebenfalls am Übersetzungsauftrag ab-zulesen: Verlangt der Übersetzungsauftrag z.B. einen Zieltext, der in bezug auf Lexik und Syntax den Z-Textsortenkonventionen entspricht, so müssen Lexik und Syntax des Ausgangstextes nicht allgemein auf ihre stilistischen Merkmale untersucht werden, sondern nur im Hinblick dar¬auf, welche AT-Elemente auch den Z-Konventionen entsprechen und daher "bewahrt" werden können und welche AT-Elemente zu "verän¬dern", d.h. zu bearbeiten, sind. Wird eine "AT-äquivalente" oder "faktorenkonstante" Übersetzung gefordert (auch das ist ein "Übersetzungsauftrag", wenn er auch zumeist nicht explizit formuliert ist), muss entsprechend zuerst mit Hilfe der Textanalyse die linke Spalte (AT) ausgefüllt und aus dem Ergebnis für jeden Faktor jeweils die Eintragung in der rechten Spalte abgeleitet werden. Allerdings zeigt sich auf diese Weise deutlich, dass es nicht immer leicht ist, tatsächlich Faktorenkonstanz zu erreichen und durchzuhalten.
Wenn die rechte und die linke Spalte ausgefüllt sind, ergibt sich im Kontrast von Ist und Soll die Aufgabe für den Translator, sein Metho¬denwissen nach Verfahren zur Bewältigung der Übersetzungsprobleme abzufragen. Die Übersetzungsprobleme und/oder die Übersetzungsver-fahren, die zu ihrer Lösung führen sollen, werden dann in der mittleren Spalte eingetragen, so dass die systematische, global für den ganzen Text angelegte Problemlösung erleichtert wird.
So neben der Übersetzungsfähigkeit, der "translatorischen Kompe¬tenz", werden punktuell, auch die an¬deren für das Übersetzen wichtigen Kompetenzen ausgebildet und er¬weitert: grund- oder "mutter"sprachliehe und fremdsprachliche Kompe¬tenz (formale und inhaltliche Aspekte von Lexik und Grammatik/Syn¬tax, Varietäten, Register und Stile, Textsortenkonventionen etc., mit Schwerpunkt auf der Muttersprache in Übungen zur Her-Übersetzung und auf der Fremdsprache in Übungen zur Hin-Übersetzung), Kultur¬kompetenz (z.B. Landeskunde in allen Bereichen vom Alltagsleben bis zu Recht und Staatsaufbau), Sachkompetenz in bestimmten, zum Teil sehr speziellen Fachgebieten (z.B. Eherecht, Konjunkturpolitik, Han¬delsbilanz oder Computertechnik), Recherchierkompetenz (Umgang mit Wörterbüchern, Bibliographieren, Speichern von gefundenem Material etc.).