1.18. Sprachliche Merkmale
Bei den sprachlichen Merkmalen des Textes werden im allgemeinen Wortschatz (Lexik) und Satzbau (Syntax) genannt. In diese Bereiche ge¬hören auch die rhetorischen Stilmittel (wie Metaphern, Vergleiche, Wortneubildungen, Ellipsen, ebenso wie Stilebe¬nenmarkierungen, Textsorten- oder Textgruppenkonventionen. Ebenso wie im Bereich der Lexik werden auch im Bereich der Syn¬tax, hier im Sinne von "Satzbau" verstanden, formale, funktionale und stilistische Aspekte in allen untersuchten Analyseansätzen mehr oder weniger ausführlich, allerdings nicht systematisch, behandelt. Bau und Komplexität der Sätze (Wilss 1977b), Hauptsatz- und Nebensatzvertei¬lung (Thiel 1978a), Satzlänge (Thiel 1978b), Ordnungsstrukturen wie Funktionale Satzperspektive (Thiel 1974b) und kohäsionsstiftende Rela¬tionen der Textoberfläche (Bühler 1984) werden als syntaktische Merk-male genannt, die bei der übersetzungsrelevanten Textanalyse eine Rol¬le spielen können. Das gilt sowohl für textsortentypische Satzstrukturen (z.B. Infinitivellipsen in deutschen Anweisungstexten) als auch für inten¬tionsbedingte, vom Autor zur Erzielung einer besonderen Wirkung frei eingesetzte Satzbauformen.
Einen ersten Einblick in die charakteristische Syntax eines Textes vermittelt die Analyse der (durchschnittlichen) Satzlänge, der Satzfor¬men (Aussagesätze, Fragesätze, Ausrufe, Ellipsen) und satzwertigen Strukturen (Infinitiv-, Partizipial-, Gerundialkonstruktionen), der Vertei¬lung von Haupt- und Nebensätzen (Parataxe/Hypotaxe гипотаксис, подчинение предложений) und der Satz¬verknüpfungen durch Konnektoren wie Konjunktionen, Temporaladver¬bien, Substitutionen etc. mit dem Ziel, die Strukturierung der Informa¬tion des Textes zu erkennen und funktional zu deuten.
Innerhalb der Satzgefüge und Teilsätze ist eine weitergehende Strukturierung durch die Stellung der Satzteile möglich. Je nach den vor¬handenen Normen für Wortstellung, Intonation, Satzakzent etc. verfü¬gen die Einzelsprachen über unterschiedliche Mittel der Hervorhebung und der Fokussierung (vgl. Diller/Kornelius 1978, 58, zur Fokussierung des Objekts durch "clefting" im Englischen). Neben den klassischen syntaktischen Stilmitteln wie z.B. Chiasmus (Kreuzung), Parallelismus, Aposiopese (фигура умолчания ) und Ellipse (vgl. u.a. Sowinski 1973, 128ff.) sind, allerdings wohl vor allem in literarischen Texten, Abweichungen von der syntaktischen Norm zur Erzielung einer besonderen Wirkung ein interessantes stilistisches Mittel. In solchen Fällen muss zunächst die Art der Abweichung ermittelt werden; dann ist die Funktion der Abwei¬chung zu bestimmen und, bei einer entsprechenden Zielvorgabe, die Möglichkeit einer Übertragung zu prüfen.
Auch die syntaktischen Merkmale hängen von verschiedenen ande¬ren textinternen Faktoren ab, besonders von Inhalt und Aufbau (Vertei¬lung und Gewichtung der Informationen in Text und Satz), von der Le¬xik (z.B. Bevorzugung von Verbal- oder Nominalstil) und den suprasegmentalen Merkmalen (besonders durch Betonungsstrukturen, Intona¬tionsvorgaben etc.). Darüber hinaus werden die verwendeten syntakti¬schen Mittel auch durch die textexternen Faktoren determiniert, dort vor allem durch die Senderintention, die Empfängerpragmatik (z.B. Aufnahmefähigkeit, Bildungsstand des Empfängers), den Faktor Medi¬um/Kanal (z.B. im Hinblick auf den Unterschied zwischen Schreib- und Sprechsyntax) und die Textfunktion (z.B. textsortentypische syntaktische Strukturen).